Gardasee Sehnsucht
Vom Dichterhimmel zum Strandgewimmel
Nicht mit dem Satz
Kennst
Du das Land, wo die Zitronen blühn?, sondern
mit dem, den Goethe beim
Blick auf den Gardasee in sein Tagebuch
der
Italienischen Reise schrieb,
wurde er zum Erfinder des Gardasee-Tourismus:
Ich
bedauere es sehr, meine Freunde nicht um mich zu
haben,
dass
sie
sich der Aussicht freuen können. Goethe rief,
und Alle kamen! Zuerst die Dichter, die dem See
ihren literarischen Stempel aufdrückten. Als
dann ab 1827
die Orte des
Westufers per Dampfschiff bequem zu
erreichen waren (die Gardesana Orientale und
Occidentale gibt es erst seit den dreißiger
Jahren des vorigen Jahrhunderts), wurde
die Riviera Bresciana zum
Winteraufenthalt von Luxus-Reisenden des
ausgehenden 20. Jahrhunderts. Für deren
verwöhnte Ansprüche errichtete der Baulöwe Alois
Wimmer in Gardone das vor
Imponiergehabe strotzende Grand Hotel.
Zu
Beginn des 1. Weltkriegs blieben die
Gäste aus, in Gardone waren es zuletzt 12.000
pro Jahr, und die Gebäude standen bis zur
Nutzung durch das deutsche NS-Regime leer. Nach
Untergang der Marionetten-Republik von Salò und
dem Ende des Dritten Reiches, als Deutsche
wieder ins Ausland reisen durften, wurde das
warme Gewässer auf der Alpensüdseite zur
Badewanne Deutschlands. Die
Wirtschafts-Wunderkinder strömten, noch ohne
Brenner Autobahn, an den Gardasee, wo sie
zunächst in veralteten Pensionen oder
auf Zeltplätzen logierten.
Die Sonne schien, das Wasser war warm,
man lernte Spaghetti mit
der Gabel
zu essen,
und manche erfüllten sich
die
Sehnsucht nach dem Süden mit einem
Zweitwohnsitz in den schnell erbauten
Wohnkomplexen oberhalb des Sees.
Mit den Jahren hat sich die
Infrastruktur des Sees dem gestiegenen Bedarf
der neuen Urlaubswelle angepasst. Strände wurden
aufgeschüttet und die schmalen Uferstreifen der
Seegemeinden zu Promenaden verbreitert. In den
letzten Jahren kamen zu den
Pensionen und Agriturismi die Michelin-besternten Nobelherbergen
mit Pool und SpA dazu, die sauren Wiesen
des Hinterlandes verwandelten sich in Golfplätze,
und die
Ora
ruft pünktlich Surfer auf die Bretter, die
ihnen die Welt bedeuten. Da bei aller Anpassung
an den modernen Tourismus auf
Nebenwirkungen wie Hochhäuser verzichtet
wurde, sind Urlauber heute gerne bereit, für zwei
bis drei Übernachtungen am Gardasee mehr Geld
auszugeben, als anderswo für eine ganze Woche „allinclusiv“. |